
Was feiern wir an Erntedank und wie setzen wir das im Waldorfkindergarten um?
Ich denke, alle von uns kennen das Erntedankfest und haben es in der ein oder anderen Form in der Kirche miterlebt. Schauen wir uns auf den Feldern um, entdecken wir Landwirte, die das Getreide, die Äpfel, die Birnen, die Zwetschgen, die Trauben, die Beeren und vieles mehr ernten. Kurz danach stehen uns die Köstlichkeiten zum Verspeisen zur Verfügung.
Doch wussten Sie, dass noch einiges mehr hinter den Gaben steckt?
So ist unser Jahr in zwei Hälften eingeteilt. Vom 21. Auf den 22. Dezember ist die Wintersonnenwende. Sie führt dazu, dass die Sonne wieder zunimmt, die Tage länger werden und die Natur langsam aus ihrem Winterschlaf aufwachen darf. Die Natur atmet aus.
Ihren höchsten Punkt erreicht die Sonne an Johanni, 24. Juni. Hier ist die Sommersonnenwende. Die Tage beginnen kürzer zu werden.
Nach diesem Datum setzt ein Reifen und Fruchten ein. Wir ernten in Dankbarkeit die Gaben, die die Erde uns bis in den Herbst hinein schenkt.
Noch vor dem 18. Jahrhundert ging man davon aus, dass geistige Wesen am Werden und Wachsen der Gaben beteiligt sind. So wurde beispielsweise die letzte Garbe dem Korngeist – auch Kornmuhme genannt – geopfert. Ebenso wird erzählt, dass teils auch ein Mensch in Stroh gewickelt und von Gesang und Scherzen begleitet als der befreite Korngeist eingefahren wurde.
Während das Erntedankfest so alt ist wie der Ackerbau selbst, hat die Kirche es sich erst im 18. Jahrhundert zur Aufgabe gemacht, ein Erntedankfest zu feiern. Ein Altar wurde geschmückt, bunt verzierte Wagen machten einen Umzug. In vielen katholischen Gegenden verband sich das Erntedankfest mit der Kirmes.
Die Dankbarkeit richtet sich nicht nur an die Gaben selbst, sondern an all das – Mutter Erde, Regen, Tierwelt -, was zum Reifen und Gedeihen der Früchte beigetragen hat.
Die Dankbarkeit ist einer der Tugenden, die wir im ersten Jahrsiebt pflegen und die durch Nachahmung von den Kindern aufgenommen wird. Tief einverleibte Dankbarkeit wandelt sich bei Schulkindern in Liebefähigkeit. Bei Jugendlichen erfährt sie eine Erweiterung zur Handlungsliebe, zum Pflichtgefühl.
Auch im Kindergarten zeigt sich die Ernte in allerlei Gesichtspunkten. So ernten wir bei der alljährlichen Kartoffelernte bei Familie Niedermaier gemeinsam die Kartoffeln. Das Getreide wird erst gedroschen und anschließend in Handarbeit zum Mehl gemahlen, das zum Erntebrot Backen verwendet wird. Die Kinder bringen Äpfel und Birnen mit, die wir zu Apfelringen und Apfel- und Birnenmus verarbeiten und schlussendlich zu unserem Milch- und Hirsebrei essen. Geerntete Hagebutten werden mit viel Mühe zu Marmelade verarbeitet.
Abgeschlossen wird unsere Erntezeit mit einem Erntedankfest, an dem die Kinder Erntekörbchen mit allerlei Gaben mitbringen. Die Früchte werden im Laufe des Tages gefrühstückt oder zum Mittagessen und im Laufe der nachfolgenden Tage mit den Kindern verarbeitet.
Quellen:
Die christlichen Jahresfeste – Hintergründe zum Feiern mit den Kindern von Luise Schlesselmann (4. Auflage, Verlag freies Geistesleben, Stuttgart)
Feste in Kindergarten und Elternhaus von Freya Jaffke (4. Auflage 2011, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart)